Konquistadoren

Er ließ Gefangene „von der Koppel der hungrigen Bluthunde zerfleischen“

Um sich zu rehabilitieren, unternahm Vasco Núñez de Balboa 1513 eine Expedition über den Isthmus von Panama. Seiner Brutalität fielen Indianer und die eigenen Leute zum Opfer. Nach 18 Tagen machte er eine bahnbrechende Entdeckung.

Ein Begriff für Skrupel kam im Wortschatz von Vasco Núñez de Balboa (1475–1519) nicht vor. Nachdem er sich 1510 auf der Flucht vor seinen Gläubigern als blinder Passagier auf einen Segler geschlichen hatte, entfachte er umgehend eine Meuterei gegen den Anführer der Expedition. Als Generalkapitän gründete er mit dieser Truppe am Südende des Isthmus von Panama Santa María la Antigua de Darién, die erste permanent bewohnte europäische Siedlung auf dem amerikanischen Festland. Als ein Rivale sie ihm streitig machten wollte, verhinderte er dessen Landung und trieb ihn damit in den Untergang.

Wie die bekannten Konquistadoren Hernán Cortés und Francisco Pizarro stammte Núñez de Balboa aus Spaniens Armenhaus, der Provinz Extremadura. Und wie jene konnte er außer seiner kleinadligen Herkunft nur geringe Vermögenswerte einsetzen, um neue Finanzquellen in der Neuen Welt zu erschließen. Dafür verfügte er über Talente wie Cleverness, Brutalität und Rücksichtslosigkeit, die durchaus geeignet waren, um auf den Spuren von Christoph Kolumbus in Amerika Karriere zu machen.

Sein erstes Geschäftsmodell scheiterte allerdings, vermutlich, weil die Schweinezucht, die er auf der Insel Hispaniola (Haiti) aufzog, sich als wenig einträglich erwies. Es folgte die eingangs beschriebene Episode als Meuterer, die ihm immerhin die Bestellung zum Gouverneur von Darién eintrug, wie die weitgehend unbekannte Gegend von den spanischen Behörden genannt wurde. Der einzige Schönheitsfehler war, dass er den entmachteten Kapitän nach Spanien entkommen ließ, wo dieser einen Prozess gegen Núñez de Balboa anstrengte.

Dieser setzte hingegen seine Konquistadoren-Karriere unbeirrt fort. Er überzog die Indianerdörfer des Hinterlandes mit blutigen Razzien, die Gold und andere Schätze zu Tage förderten. Vor allem ein Erlebnis wies Núñez de Balboa seinen künftigen Weg. Ein Häuptling empfing die Eindringlinge, indem er ihnen 4000 Unzen Gold überreichte. Zu seiner Verwunderung begannen diese umgehend, sich handfest über die Verteilung zu streiten. Um einem Massaker zu entgehen, zeigte der Kazike auf die Berge im Westen. An sie, erklärte er, stoße ein gewaltiges Meer, in das goldreiche Flüsse aus einem großen Reich mündeten.

Núñez de Balboa machte daraufhin König Ferdinand V. das Angebot, mit einer Truppe von 1000 Mann dieses sagenhafte Land zu finden und zu erobern. Doch statt einer positiven Antwort erhielt er die Nachricht, dass es dem abgesetzten Kapitän gelungen war, einen Haftbefehl gegen ihn zu erwirken. Was folgte, hat der Schriftsteller Stefan Zweig in seinen „Sternstunden der Menschheit“ wunderbar beschrieben:

„Balboa erkennt die Tat, die er tun muss, um sich freizukaufen von der Schuld und unvergängliche Ehre sich zu erwerben: als ersten den Isthmus (von Panama; d. Red.) überqueren zum Mar del Sur, zum Südmeer, das nach Indien führt, und das neue Ophir für die spanische Krone zu erobern … Von diesem Augenblick an hat das Leben dieses zufälligen Abenteurers einen hohen, einen überzeitlichen Sinn.“ Anzeige

Mit 192 Spaniern sowie einheimischen Trägern machte er sich im Sommer 1513 auf den Weg. Zwar ist der Isthmus nur 60 bis 70 Kilometer breit. Aber der unwegsame Dschungel, sein Klima, seine Tiere und Krankheitserreger machten den Marsch zur Tortur. Kranke und Verwundete wurden einfach zurückgelassen, wo sie elendig krepierten. Als die Expedition einmal wegen einer Sackgasse zu einem Lager zurückkehrte, sahen die Männer entsetzt, was mit ihren Kameraden geschehen war: Ameisen hatten von den Leichen nur noch Kleiderfetzen übrig gelassen. Núñez de Balboa gab sich von da an menschlich – und tötete die Kranken.

Eingeborenen, die sich der Expedition entgegenzustellen wagten, erging es schlimmer. Die Feuerwaffen der Spanier zeigten entsetzliche Wirkung. „Aber statt sich des leichten Sieges zu freuen, entehrt ihn Balboa wie alle spanischen Konquistadoren durch erbärmliche Grausamkeit“, schreibt Zweig, „indem er eine Anzahl wehrloser, gebundener Gefangener – Ersatz für Stierkampf und Gladiatorenspiel – lebend von der Koppel der hungrigen Bluthunde zerreißen, zerfetzen und zerfleischen lässt. Eine widrige Schlächterei schändet die letzte Nacht vor Nuñez de Balboas unsterblichem Tag.“

Nach 18 Tagen hatten die 68 Überlebenden das Gebirge im Westen des Isthmus erreicht. Derselbe Balboa, schreibt Zweig weiter, der „zuvor unschuldige, gefesselte Gefangene wehrlos den Hetzhunden vorgeworfen und vielleicht die noch von frischem Menschenblut triefenden Lefzen der Bestien zufrieden gestreichelt, ist sich genau der Bedeutung seiner Tat in der Geschichte der Menschheit gewiss und findet im entscheidenden Augenblick eine jener großartigen Gesten, die unvergesslich bleiben durch die Zeiten“. Anzeige

Allein bestieg er den Berg und erblickte am Vormittag des 25. September 1513 von seinem Gipfel das sagenhafte Südmeer. Vier Tage später, an seinem Ufer, nahm er es für die spanische Krone in Besitz. Damit machte er den Pazifischen Ozean den Portugiesen streitig, die sich seit den Entdeckungsfahrten Vasco da Gamas ab 1497 von Südafrika aus einen Zugang zu den Handelsströmen und Gewürzinseln Asiens geöffnet hatten. Es sollte dem Portugiesen Ferdinand Magellan vorbehalten bleiben, im Auftrag Spaniens 1520 von Südamerika aus eine Einfahrt in das Mar del Sur zu finden.

Die geografische Dimension seiner Entdeckung interessierte Nuñez de Balboa allerdings nur bedingt. Zwar hatte sie ihm die Begnadigung durch König Ferdinand samt der Berufung zum Generalkapitän von Coiba und Panama sowie zum Gouverneur der Südsee eingetragen. Aber sein Blick blieb auf das märchenhafte Reich aus Gold gerichtet, von dem ihm indigene Bewohner berichtet hatten.

Erneut bat er um eine Truppe von 1000 Mann, mit der er zu einem Eroberungszug aufbrechen wollte. Aber Rivalen waren schneller. Sein Nachfolger als Statthalter in Darién ließ ihn unter der Anklage, eine Verschwörung geplant zu haben, verhaften und im Januar 1519 hinrichten. Die Eroberung des Inka-Reiches blieb einem Landsmann aus der Extremadura vorbehalten.

Francisco Pizarro hatte an der Meuterei Nuñez de Balboas 1510 mitgewirkt und ihn auf seiner Expedition über den Isthmos begleitet. Dann wechselte er die Seiten, indem er sich als Zeuge den Behörden zur Verfügung stellte. 1533 sollte er als siegreicher Eroberer in die Inka-Hauptstadt Cusco einziehen.