Es besitzt der Mensch eine eigene Scheu vor der Arbeitsstätte des Genius: er will gar nichts von den Ursachen, Werkzeugen und Geheimnissen des Schaffens wissen, wie ja auch die Natur eine gewisse Zartheit bekundet, indem sie ihre Wurzeln mit Erde überdeckt. Verschließe sich also der Künstler mit seinen Wehen; wir würden schreckliche Dinge erfahren, wenn wir bei allen Werken bis auf den Grund ihrer Entstehung sehen könnten.
Das schrieb Robert Schumann, der auch als Musikkritiker tätig war, in einem Artikel für die „Neue Zeitschrift für Musik“ 1835 über die „Symphonie fantastique“ von Hector Berlioz (1803 –1863). Mit dieser Sinfonie wird der Versuch gewagt, Opiumträume in Musik umzusetzen. Die „Symphonie fantastique“ mit dem Untertitel „Episode de la Vie d’un Artiste“ (Episode aus dem Leben eines Künstlers) ist eine Programmmusik, die den Traum eines Künstlers schildert, der aus unglücklicher Liebe Opium genommen hat. Sie besteht aus den fünf Sätzen mit den Bezeichnungen I. Träumereien, Leidenschaften; II. Ein Ball; III. Szene auf dem Lande; IV. Der Gang zum Richtplatz und V. Traum eines Hexensabbats.
In einem Brief an seinen Freund Humbert Ferrand vom 16. April 1830 erläutert Berlioz den Aufbau dieser gewaltigen Sinfonie:
… hier der Vorwurf, der auf dem Programm dargelegt und am Tage des Konzerts im Saale verteilt werden wird: Episode aus dem Leben eines Künstlers. Große phantastische Symphonie in fünf Teilen. Erstes Stück: zweiteilig, bestehend aus einem kurzen Adagio, auf das sogleich ein entwickeltes Allegro folgt (Welle der Leidenschaften; ziellose Träumereien; glühende Liebe mit ihren Stimmungen von Zärtlichkeit, Eifersucht, Wut, Angst etc. etc. …) Zweites Stück: Szene auf dem Lande (Adagio, Liebesgedanken und Hoffnungen, getrübt durch dunkle Vorahnungen) Drittes Stück: Ein Ball (glänzende und hinreißende Musik) Viertes Stück: Gang zum Tode (wilde, trügerische Musik) Fünftes Stück: Traum einer Hexennacht.
… Und jetzt, lieber Freund, lassen Sie sich erzählen, wie ich meinen Helden, oder vielmehr meine Historie gewebt habe, deren Helden Sie unschwer erkennen werden. Ich gehe von der Annahme aus, ein Künstler mit lebhafter Phantasie in jenem Seelenzustand, den Chateaubriand in seinem René so wunderbar beschrieben hat, sehe zum erstenmal die Frau, die sein Ideal an Schönreiz und Liebreiz verkörpert, und die sein Herz seit langem ersehnt. … (Nr. 1). …
Er wohnt einem Ball bei, doch der Tumult des Festes vermag ihn nicht zu zerstreuen; wiederum ist er von seiner fixen Idee besessen, und die geliebte Melodie lässt ihn während eines glanzvollen Walzers sein Herz erheben (Nr. 3).
In einem Anfall von Verzweiflung vergiftet er sich mit Opium; doch das Mittel tötet ihn nicht, sondern verursacht nur eine schreckliche Vision: er glaubt, die Geliebte getötet zu haben, zum Tode verurteilt zu sein und seiner eigenen Hinrichtung beizuwohnen. Gang zum Tode; ungeheurer Zug von Henkern, Soldaten, Volk. Zuletzt erscheint die Melodie wieder, gleich einem letzten Liebesgedanken, unterbrochen von dem tödlichen Streich (Nr. 4). Er sieht sich umgeben von einer widerlichen Schar von Zauberern und Teufeln, die zusammengekommen sind, den Hexensabbath zu feiern. … Schließlich tobt das wilde Sabbathtreiben, vermengt sich auf seinem Höhepunkt mit dem Dies irae, und die Vision erlischt (Nr. 5).
Berlioz schrieb die Sinfonie unter dem Eindruck der Dramen Shakespeares und in Leidenschaft für die Schauspielerin Harriet Smithson. Er hat sie wiederholt überarbeitet. In der letzten Fassung von 1855 bezeichnet er die gesamte Sinfonie und nicht nur die Sätze ‚Gang zum Richtplatz‘ und ‚Hexensabbath‘ als einen im Opiumrausch erlebten Traum. Berlioz hat wiederholt als ,Erfrischungsgetränk‘ Laudanum mit Strychnin zu sich genommen – eine damals sehr verbreitete Rezeptur. In modernen Inszenierungen der Berlioz-Oper „La Damnation de Faust“ wird Dr. Faust von Mephisto durch Opium verführt. Im Drogen-Trip können Faust dann Visionen erscheinen. Die Musik von Hector Berlioz passt dazu.
Über den Einfluss von Opium auf seine 1932 komponierte Ballettmusik „L’Envol d’Icare“ (Der Flug des Ikarus) berichtete Igor Markevitch (1912 – 1983), der wohl den meisten Musikfreunden eher als ein international gefeierter Dirigent bekannt ist, in seiner Autobiographie „Etre et avoir été“ (Auszüge in). Er machte über einen ägyptischen Freund namens Felix seine Bekanntschaft mit Opium: Das Rauschgift gab meinem Organismus eine Einheit und den neuen Eindruck, ganz in mir selbst zu ruhen. Eine Stunde nach der anderen ging dahin, zuweilen, ohne dass ich mit Felix ein Wort wechselte.
Von einer ungeahnten Schwerelosigkeit erfasst, gewann ich mir die Fähigkeit, einzig Gedanke zu sein. Da begann sich Ikarus‘ Tod aufzubauen, der, je mehr er Gestalt annahm, sich mir um so mehr als eine Art Verlängerung des Adagios der letzten Sonate Beethovens, des Opus 111, vorstellte. Dieser Tod bestärkte mich in meinem Gefühl seiner Relativität und der zweiten, ganz metaphysischen Geburt, die er für Ikarus darstellen würde.
Welch eigenartige und erhabene Musik ließen mich die Umstände in mir entdecken! In der dösenden Bewegung meiner Adern entspann sie sich wie eine Architektur von inneren Zärtlichkeiten, beinahe statisch durch ihren geheimen Reichtum einer marinen Flora gleichend. Das Merkmal der Töne war es, niemals völlig zu verschwinden. Wie Glocken oder Kristalle, die für die Unendlichkeit zu klingen scheinen, setzten sich die Akkorde fort, sich untereinander verflechtend, und bildeten reine und abstrakte melodische Linien. …
Camille Saint-Saens (1835 – 1921) hat in seinen Liederzyklus „Melódies persanes“ (Persische Lieder, op. 26, 1870) ein Lied nach Versen des französischen Dichters Armand Renaud (1836 – 1895) mit dem Titel „Tournoiement“ (Kreisel, Delirium) und dem Untertitel „Songe d’opium“ (Opiumtraum, op. 26, Nr. 6) aufgenommen. Der Text beschreibt mehr die Symptome eines Deliriums: Ohne Unterlass auf der Zehenspitze stehend kreise ich, kreise ich, kreise ich wie ein dürres Blatt im Augenblick des Hinwelkens. Vor meinem getrübten Blick treibt alles vorüber, einen eigenen Lichtschein aussendend, und in dieser Kreisbewegung werde ich immer größer, ohne Freude und Schmerz, fröstelnd in Schweiß gebadet … Inwieweit Saint-SaĎns persönliche Erfahrungen mit Opium hatte, ist nicht belegt.
Das französische Multitalent Jean Cocteau sah in dem Ballett „Frühlingsopfer“ des mit ihm befreundeten Igor Strawinsky (1882 – 1971) die musikalische Schilderung einer Entziehungskur: Mit „Le Sacre du printemps“ orchestriert Strawinsky eine Entziehung mit einer skrupulösen Genauigkeit, deren er selbst nicht inne wurde (aus „Opium. Tagebuch einer Entziehungskur“). Strawinsky scheint Erfahrungen mit Cocain gehabt zu haben. In einem Brief an seinen Lehrer Nikolai Rimskij-Korsakow aus dem Jahre 1908 äußerte er über den „Bienenflug“ (Scherzo fantastique, op. 3): Die Harmonie in den BIENEN wird grimmig, wie Zahnschmerzen, soll dann aber unmittelbar mit angenehmen Harmonien abwechseln, wie Cocain.
Rimskij-Korsakow hat übrigens gelegentlich Haschisch genommen. Auf der kleinen Partitur zum „Hummelflug“, dem ersten Satz seiner sinfonischen Dichtung „Scheherazade“, vermerkte er: Wie schweres Charas aus Ferghana. Turkmenisches Charas (Haschisch) war damals in St. Petersburg in der Kulturszene verbreitet.