Goldfisch Zucht aus Japan
Qual oder Schönheit
Zwischen Goldfischliebhabern und „normalen“ Aquarianern besteht ein sehr tiefer Graben. Kaum ein Thema in der Aquaristik ist dermaßen umstritten.
Den Goldfischliebhabern werden Geschmacklosigkeit und Tierquälerei vorgeworfen — dies oftmals von Leuten, die über Fische allgemein sehr viel, speziell von Goldfischen aber kaum etwas wissen (z. B. Kästner, 2004). Hochzuchtliebhaber führen kulturelle Aspekte an und bestreiten, daß es bei Goldfischen Zuchtformen gebe, deren Merkmale den Tieren Leid bereiten.
Und unkundige Neulinge denken selten an die Problematik und die mit der Haltung verbundenen Schwierigkeiten und werden dann mit Schwierigkeiten und Vorwürfen konfrontiert.
Aufklärung tut not, auf beiden Seiten.
Ursprünglich
habe ich auf meiner Goldfisch-Website deutlich Stellung gegen die
Hochzuchtformen bezogen. Ich habe dafür viel Zustimmung, aber auch
einige wenige kritische Stimmen als Resonanz erhalten. Um sachlich zu
bleiben, habe ich die Argumente der Befürworter sehr ernst genommen
und mich mit ihnen auseinandergesetzt. Sie wiesen etwas auf, was
allen lobenden Zuschriften (Kritikern der Zuchtformen) fehlte: eigene
Erfahrung.
Ich habe also Überlegungen angestellt, mich kundig
gemacht und diskutiert. Dieses Dokument hat mir viel Kopfzerbrechen
und Mühen bei Recherche und Formulierung bereitet. Ich bitte meine
Leser, aufmerksam und unvoreingenommen den
Ausführungen zu folgen.
Geschmack
und Tierschutz sind zwei absolut verschiedene Angelegenheiten,
die einer sauberen Trennung bedürfen! Es ist erschreckend, wie immer
wieder in Diskussionen diese beiden Kriterien miteinander verknüpft
werden; oft dahingehend, daß dem Fisch ja wohl schaden müsse, was
dem (naturliebenden) Menschen nicht gefällt.
Ich möchte diese
Trennung durchführen und ausloten, ob kulturelle Aspekte mit einer
tiergerechten Aquaristik vereinbar sind oder nicht. Dies ist um so
dringender, da seit einigen Jahren schwierige Varietäten auch oft
von Anfängern gekauft werden, und die Qualität der angebotenen
Tiere deutlich zu wünschen übrig läßt.
Die Kritik an den Hochzuchtformen ist stark; und es ist absehbar, daß ein von der Stimmung beeinflußter und von aktionistischen „Experten“ beratener Gesetzgeber unausgegorene Regelungen und Verbote erläßt. In Ansätzen ist dies bereits der Fall, wie weiter unten erläutert wird.
Ich erwarte von Goldfischfreunden, daß sie die Vorwürfe ernst nehmen und über ihre Vorlieben nachdenken. Umgekehrt fordere ich die Kritiker auf, fundierte Kritik zu üben und nicht emotionsbeladen stereotype Vorurteile zu verbreiten. Das ist nämlich das faszinierende an dieser Auseinandersetzung: daß letztlich beide Seiten, die Kritiker der Zuchtformen in ihrer Abneigung, die Liebhaber der Zuchtformen in ihrer Zuneigung, die Sachlichkeit aus den Augen verlieren …
Inhaltsverzeichnis
Geschmack und Kultur
Ueber Geschmack läßt sich streiten. Viele der Zuchtformen treffen auch meinen persönlichen Geschmack überhaupt nicht. Andererseits bestehen viele der tropischen „natürlichen“ Gesellschafts-Aquarien aus wild durcheinander gewürfelten Arten ohne natürlichen Bezug, und das klassische Amazonas-Becken im Wohnzimmer läuft Gefahr, das Bild des röhrenden Hirsches über dem Sofa zu ersetzen. Damit möchte ich nun niemandes Geschmack diskreditieren — ich möchte nur verdeutlichen, daß jeder einen anderen Stil bevorzugt.
Das von vielen „naturnahen“ Aquarianern angestrebte Bild einer Unterwasserlandschaft hat mit natürlichen Gewässern nicht viel gemeinsam. Diese Pseudonatur erweckt aber oft den Anschein eines natürlichen Biotops, und „Natur“ ist der Wunsch vieler europäischer Vivarianer. Die „künstlichen“ Goldfischformen passen nicht in solcherart eingerichtete Aquarien. Ganz wertfrei muß man also feststellen, daß die meisten aquaristischen „Wildformen“ und gezüchtete Goldfischformen nicht nur hinsichtlich der Lebensansprüche (vgl. Haltung II: Vergesellschaftung) sondern auch aus stilistischen Gründen unvereinbar sind.
Es handelt sich bei Goldfischen um domestizierte Fische; um „echte“ Haustiere. Wer sich im Heim Kaninchen, Meerschweinchen und Hunde oder auf dem Hof Nutztiere wie Rinder, Schweine und Geflügel hält, pflegt andere Tiere als ein Zoo, der für sich beansprucht, „Natur“ und „wilde Tiere“ zu zeigen.
Ich empfinde es in diesem Zusammenhang als anmaßend und bevormundend, jemandem vorzuschreiben, welchen aquaristischen Stil er zu bevorzugen habe.
Die Goldfischzuchtformen stammen aus einer Kultur, die ein gänzlich anderes Verständnis von Natur und Schöpfung hat als die europäische (und letztere hat sich diesbezüglich auch die letzten Jahrhunderte und selbst Jahrzehnte stark und mehrmals gewandelt). Einen Einblick mögen z. B. das Kapitel Geschichte und die Artikel von Heimes (1996) und Pederzani (2004a) (und evtl. von Voigt, 1997) geben. Die Vielzahl an Zuchtformen entstand meist zu Zeiten, in denen der Konfuzianismus eine bedeutende Rolle im chinesischen Leben spielte. Eine der konfuzianistischen Forderungen ist, daß Ordnung und Frieden gesichert, und das Leben der Menschen, der Tiere und der Dinge, ihre Erzeugung und Neuerzeugung, erhalten wird. Auch andere in China verbreitete (und oft miteinander verwandte) weltanschauliche Lehren regen einen entsprechenden schöpfenden Umgang mit der Natur und ihr Überformen und Symbolisieren an. Ähnlich einem künstlich in seine Form gezwungenen Bonsai oder einem besonders ästhetisch geformten Stein, auf den der Meditierende seinen Gedankenstrom richtet, ist der Goldfisch seit langem ein bevorzugtes Objekt fernöstlicher Kontemplation. (Heimes, 1996)
Wir haben es bei den Goldfischvarietäten also mit direkten Produkten einer alten und reichen, aber uns zunächst fremden und oft unverständlichen Kultur zu tun. Goldfische sind Produkt und Spiegel asiatischer Kultur. Auf dem Motto-Siegel des Kaisers Kao-Tsung (1736-1795) findet man den Spruch:Nur kunstvolles ist von Bedeutung.
Darüber aus unserer Sicht urteilen zu wollen, ist anmaßend und ignorant. Wir leben in einer zunehmend von Kulturlosigkeit dominierten technisch/naturwissenschaftlichen und konsumorientierten Welt. Wir sollten sehr vorsichtig sein, fremde Kulturen beurteilen zu wollen. Ein chinesisches Sprichwort lautet:Ohne Bambus ist der Mensch unzivilisiert.
Viele nichteuropäische Kulturen schauen mit Unverständnis auf unsere Kultur, in der mit viel Aufwand Tierschutz betrieben wird, umgekehrt aber in diesen Ländern Menschenrechte auf übelste Art von eben uns Europäern mit Füßen getreten wurden und noch immer werden.
Goldfische haben
sich in Europa zu einer Zeit etabliert, als das Interesse an fernen
(besonders fernöstlichen) Kulturen und auch an „Monströsitäten“
groß war (vgl. Geschichte: Europäische
Goldfischkultur —
derzeit in Vorbereitung). Der Goldfisch und seine Zuchtformen in
Deutschland waren also auch Kind ihrer Zeit: Rokoko, Jugendstil,
Wilhelminische Ära. Mit Aufkommen des sachlichen Bauhausstils
schwand das Interesse an den verspielten Goldfischzuchtformen, und ab
den dreißiger Jahren bestimmten obskure Vorstellungen einer
„Rassenhygiene“ und die Forderung nach dem „natürlich Starken“
die Gedanken und die Ästhetik. Pederzani (2005) berichtet
(durchaus mit der gebotenen Vorsicht in diesem Zusammenhang) von
einem Briefwechsel zwischen Dr. Oskar Heinroth und
Dr. Konrad Lorenz,
in welchem um die Jahreswende 1939/40 der Schleierfisch Anlaß einer
Auseinandersetzung zwischen den beiden wurde. Grund war die
Absicht Lorenz‘, an
politisch exponierter Stelle im Deutschen Klub einen
Vortrag über Haustiere und ihre Wildformen zu halten und die
Häßlichkeit der domestizierten Formen der Ästhetik der Wildformen
gegenüber zu stellen. Ich habe den Eindruck, daß solche
Vorstellungen heute noch zu einem nicht unerheblichen Anteil die
Vivaristik prägen; die Argumentation und Bevormundung ist
diesbezüglich sehr stark.
Heutzutage sind asiatische Kultur und
Lebensart ebenfalls wieder „in“, oft gepaart mit einem deutlichen
Schuß Esoterik (Feng shui u. a.). Ich bin skeptisch, ob sich
die asiatische Kultur unreflektiert übernehmen läßt. Meist werden
Gebräuche praktiziert, ohne daß der sie ausführende Europäer sie
wirklich versteht. Oft kennt und versteht er ja noch nicht einmal
seine eigene Kultur!
Es sollte jeder gründlich prüfen, ob
entsprechende Einrichtungen und Vorlieben wirklich konsequent und
passend sind. Wer einen Bezug zur asiatischen Kultur hat, wird auch
vielen Goldfischformen etwas abgewinnen können; sie einfach aus
einer Modelaune heraus anzuschaffen, weil sie so „cool“ oder
„hip“ sind, ist der verkehrte Weg. Genauso verkehrt ist es, diese
Tiere „süß“ zu finden. Ungeachtet ihres Aussehens sind es
Goldfische Carassius
auratus,
die mit wenigen Ausnahmen dieselben Bedürfnisse wie ihre wilden
Vorfahren haben; und diese Bedürfnisse müssen ernst genommen und
erfüllt werden. Da der „Lebensraum Wasser“ für uns Menschen
nicht immer einfach nachvollziehbar ist, muß man sich theoretisch
kundig machen; Kenntnisse in Biologie, Physik und Chemie erwerben —
kurz: all das, was man für die Aquaristik eben so braucht. Wie auch
schon in Haltung II: Becken
und Einrichtung angedeutet,
sind unter unkundigen Fischhaltern bestimmte Vorlieben vorhanden, die
ein kundiger Aquarianer selten teilt. Ich habe oft den Eindruck, daß
sich nicht wenige Leute für die Hochzuchtformen interessieren, ohne
überhaupt ausreichende Kenntnis in der Fischhaltung zu haben. Hier
bestimmen nicht selten alleine der Geschmack und totale Unwissenheit
um die Vorgänge im Aquarium den Wunsch nach solch „süßen“
Fischen. Und ebendies ist eine für die Gesundheit der Fische
kritische Voraussetzung. Den Geschmack selbst möchte ich nicht be-
oder verurteilen; aber wenn alleine Geschmack ohne Sachkenntnis das
Schicksal der Fische ein erbärmliches werden läßt, dann sollte man
nachdenklich werden.
Bei
diesen Zuchtformen ist neben persönlichem Geschmack und einer
gewissen Stilsicherheit bei der Umsetzung desselben immer auch
Fachkenntnis erforderlich. Viele unkundige „Liebhaber“ kaufen
bisweilen Fische, bei denen sich Züchter und (falls kundig) Händler
ins Fäustchen lachen („… doch noch ein Doofer, der für
diesen Ausschuß Geld bezahlt.“). Immerhin ist das preisliche
Argument sehr wichtig (es war eben schon immer etwas teurer, einen
besonderen Geschmack zu haben …); gute Fische kosten viel
Geld! Auch sind sie in Deutschland nur sehr schwierig zu beziehen.
Bei billigen Exemplaren ist man meist an einer Grenze, die aus
tierschützerischer Sicht kritisch ist (sowohl züchterisch als auch
vom allgemeinen gesundheitlichen Zustand her).
Und kritisch
betrachten muß man das Schicksal all jener Fische, die in die Hände
von Leuten gelangen, die — wenn überhaupt — gerade einmal
Grundkenntnisse der Aquaristik beherrschen. Das gilt für
„natürliche“ Diskusbuntbarsche genauso wie für
„künstliche“ Perlschupper-Goldfische. Ein Aquarium ist
schwieriger zu verstehen als ein Kaninchenstall!
Tierquälerei?
Der
Vorwurf der Tierquälerei ist eine ernstzunehmende Angelegenheit.
Kultur hin, Kultur her — es gibt kulturelle Besonderheiten, über
deren Niedergang hoffentlich niemand richtig traurig ist. Weder die
zur europäischen Kultur gehörenden Hexenverfolgungen noch die
gewaltsam verkrüppelten Füße („Lotusblüten“) chinesischer
Frauen sind etwas, was man sich zurückwünscht.
Unabhängig von
Geschmack und kulturellem Hintergrund ist also die Frage, ob einige
Zuchtformen unter ihren Merkmalen leiden, und ob man von
„Qualzuchten“ und „Monstern“ sprechen kann, im Interesse des
Tierschutzes nicht nur berechtigt sondern auch geboten.
Was diesen Punkt angeht, habe ich festgestellt, daß viele der oft vorgetragenen Behauptungen gegen die Hochzuchten auf oberflächlichen emotionalen Eindrücken beruhen (und dann auch schnell wieder in Richtung Geschmack tendieren) und überwiegend auf Vorurteilen und mangelndem Wissen basieren:
- Sieht nicht aus wie ein Fisch — also widernatürlich und unzulässig.
- Schleierschwänze haben eine „verkrüppelte“ Wirbelsäule — also Qualzucht.
- Zuchtformen können in freier Natur nicht überleben — also Qualzucht.
- Fische mit langen oder fehlenden Flossen schwimmen nur unbeholfen — also Qualzucht.
- Bei den Kopfauswüchsen handelt es sich um Tumore — also Qualzucht.
Die
Argumentation gegen die „Monster“ oder „Krüppel“ ist einfach
und erscheint somit schlüssig. Aber wie vieles einfache ist sie zu
simpel, zu vereinfachend.
Lassen wir einmal völlig außer Acht,
daß die Frage, ob Fische Schmerzen empfinden können, noch ungeklärt
und selbst unter Neurophysiologen sehr umstritten ist (ich selbst bin
übrigens der Ansicht, daß Fische dazu durchaus in der Lage sind;
das ist aber wissenschaftlich nicht abgesichert). Klären wir lieber,
was mit dem Schlagwort der „Qualzucht“ überhaupt gemeint
ist.
Mit der Begrifflichkeit fängt die Oberflächlichkeit
vieler Vorwürfe an: „Qualzucht“ ist abgesehen von der
Abgedroschenheit dieses Kampfbegriffes sprachlich falsch. Nicht die
Zucht ist der quälerische Vorgang, sondern es leidet das Tier als
Produkt dieser Zucht, eben die Züchtung. Qualzüchtung ist
also der weitaus zutreffendere und sachlichere Begriff.
Im bundesdeutschen Tierschutzgesetz regelt (ohne einen der Begriffe zu erwähnen) der Paragraph 11b seit 1986 genau diese Problematik. Auf ihn wird in Diskussionen manchmal Bezug genommen. Das ist sinnvoll, denn wer über etwas diskutieren möchte, sollte zunächst definieren, worum es überhaupt geht. Der Umstand, daß jeder persönlich eine andere Grenze zieht, ab der er/sie etwas als Quälerei bezeichnet, erschwert die Diskussion und zeigt, daß eine Definition (und sei es nur für einen selbst) notwendig ist.
Ich meinerseits möchte mich an § 11b TierSchG orientieren, der im Wortlaut sagt:
- Es
ist verboten, Wirbeltiere zu züchten oder durch bio- oder
gentechnische Maßnahmen zu verändern, wenn damit gerechnet werden
muß, daß bei der Nachzucht, den bio- oder gentechnisch veränderten
Tieren selbst oder deren Nachkommen erblich bedingt Körperteile
oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich
oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden
auftreten.
- Es
ist verboten, Wirbeltiere zu züchten oder durch bio- oder
gentechnische Maßnahmen zu verändern, wenn damit gerechnet werden
muß, daß bei den Nachkommen
- mit Leiden verbundene erblich bedingte Verhaltensstörungen oder erblich bedingte Aggressionssteigerungen auftreten oder
- jeder artgemäße Kontakt mit Artgenossen bei ihnen selbst oder einem Artgenossen zu Schmerzen oder vermeidbaren Leiden oder Schäden führt oder
- deren Haltung nur unter Bedingungen möglich ist, die bei ihnen zu Schmerzen oder vermeidbaren Leiden oder Schäden führen.
- Das
Bundesministerium wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit
Zustimmung des Bundesrates
- die erblich bedingten Veränderungen, Verhaltensstörungen und Aggressionssteigerungen nach den Absätzen 1 und 2 näher zu bestimmen,
- das Züchten mit Wirbeltieren bestimmter Arten, Rassen und Linien zu verbieten oder zu beschränken, wenn dieses Züchten zu Verstößen gegen die Absätze 1 und 2 führen kann.
Ich
halte dies für eine zwar umständlich formulierte aber die m. E.
wichtigen Kriterien benennende Definition. Auf dieser Grundlage kann
man nun also Tiere und Züchtungen einigermaßen beurteilen. Bei
vielen Zuchtformen/Rassen von Säugetieren und Vögeln liegen diese
Verhältnisse vor. Wer in Internet-Suchmaschinen oder
online-Enzyklopädien die Suchworte „Qualzucht“ oder
„Qualzüchtung“ eingibt, findet viele entsprechende Einträge,
von Mäusen bis zu Hunden und Katzen.
Wie ist es nun
bei Fischen?
Auch wenn es (nicht nur bei Goldfischen)
Züchtungen gibt, auf die entsprechende Kriterien zutreffen, und es
in einigen europäischen Ländern wie Schweden für bestimmte
Goldfischformen bereits Verkaufsverbote gibt, gibt es meines Wissens
nach noch keine der in Absatz (5) erwähnten benennenden und/oder
verbietenden Rechtsverordnungen auf Bundesebene zu bestimmten
Zuchtzielen für Fische. Im „Gutachten zur Auslegung von § 11b
(Verbot von Qualzüchtungen)“ des Bundesministeriums für
Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft von 1999
(Bundesministerium,
2000)
wird kein einziger Fisch erwähnt. Andererseits tut z. B. das
Land Rheinland-Pfalz so, als ob es Anweisungen an untergeordnete
Behörden gebe, in denen eindeutig bestimmte Merkmale von Goldfischen
als im Widerspruch zum § 11b stehend eingestuft würden
(
Vollzug
§ 11b TierSchG).
Auf Nachfrage teilte man mir mit, es seien den
Behörden […] zur Auslegung des § 11b TierSchG u. a.
(als einzig fischrelevante Werke) die Schriften
von Hieronimus (2002) und Staeck (2002) zur
Verfügung gestellt worden.
Das liest sich erstens schon ganz anders, und ist zweitens eine arg
dünne Grundlage, die zeigt, wie einfach Ministerien von „Experten“
zu beeindrucken sind …
Die in der Einleitung
angesprochenen Regulierungen gibt es also teilweise schon, und sie
sind nicht einheitlich. Woran liegt es, daß es klare Verbote für
bestimmte Rassen von Säugern und Vögeln gibt, nicht aber für
Fische? Das mag damit zusammenhängen, daß Fische bei vielen
Menschen nicht richtig im Bewußtsein verankert sind. Ihr
Niedlichkeitsfaktor ist kleiner als der von Vögeln und Säugern, und
ihre wirtschaftliche Relevanz ist gering. Und: so vieles ist unklar
bei Fischen; angefangen bei der schwierig zu beantwortenden Frage, ob
sie fähig sind, Schmerz zu empfinden. Die genetischen und
physiologischen Umstände sind weit weniger erforscht als bei
Säugetieren und Vögeln.
Nicht nur aufgrund fehlender oder
uneinheitlicher rechtlicher Regelungen muß man sich selbst überlegen
und prüfen, welche Merkmale zu Leiden und „Schäden“ führen
oder ein artgemäßes Verhalten unmöglich machen.
Die gedrungene
Körperform beeinträchtigt
innere Organe (vor allem Darm und Schwimmblase), so daß bei einigen
Individuen Vorsicht angebracht ist.
Tiere mit arg deformierter
und untauglicher Schwimmblase findet man immer wieder im Handel; das
ist schlechte Zucht und miserable Verkaufsauswahl. (Das ist übrigens
nicht auf Goldfische beschränkt, sondern auch bei vielen anderen
massenhaft nachgezüchteten Fischen zu finden; jedoch ist es bei
Goldfischen aufgrund ihres Körperbaus häufiger.) Solche Tiere
sollte man gar nicht erst kaufen; Ziel einer sorgfältigen Zucht
sollte immer ein vorhandenes Schwimmvermögen sein. Die Schwimmblase
ist bei den dickbäuchigen Schleierschwänzen gegenüber den
Normalformen deutlich verändert: meist ist eine der beiden Kammern
masiv verkleinert; in schweren Fällen fehlt eine der Kammern oder
liegen die Blasen an unüblicher Stelle. Ein „guter“
Schleierfisch schwimmt ausbalanciert und kann seine Schwimmhöhe und
-lage einwandfrei regulieren; schlechte Züchtungen können da
hilflos sein und auftreiben.
Die Beeinträchtigung der
Verdauungsorgane ist meist geringer, als man es sich vorstellt. Die
Arbeiten Herres
(1990) zeigen,
daß der Darm bei Zuchtformen vergrößert ist. Dennoch gibt es bei
den gedrungenen „Schleierschwänzen“ und anderen Zuchtformen
immer wieder Einzeltiere mit massiven Verdauungsproblemen. Sie sind
zum Teil auf unsachgemäße Fütterung zurückzuführen, die von den
robusten Normalformen verkraftet wird, bei Hochzuchtformen jedoch
Probleme bereitet. Eine gute Fütterung mit weitgehender
Einschränkung von Trockenfutter steht auch den Normalformen zu und
verhindert bei „Dickfischen“ Darmprobleme. Trockenfutter sollte
bevorzugt vorgeweicht und gequollen verfüttert werden. Wasserlinsen,
Salat, Erbsen, ggf. Reis als Begleitfutter erleichtern die Verdauung
und ersetzen die von wildlebenden Goldfischen gefressenen Algen und
Wasserpflanzen, was ihnen im Aquarium i. d. R. leider
verwehrt ist. (Vgl. Haltung II: Ernährung
und Fütterung)
Weiterhin
sind viele im Handel vertriebene Goldfische (wenn nicht sogar die
meisten Zuchtformen) aufgrund schlechter Zucht-, Transport- und
Haltungsbedingungen arg geschwächt und bereits erkrankt.
Erschreckend wenige deutsche Einzelhändler wissen ausreichend
Bescheid um die erforderlichen Haltungsbedingungen dieser Tiere, und
eine gute Quarantäne erfolgt im Handel erst recht kaum. (Alles auch
bedingt durch die viel zu geringen Verkaufspreise, die eine
ordentliche Behandlung der Fische gar nicht erlauben!) In den Händen
unkundiger Neulinge ist der Tod dieser Tiere dann absehbar — und
dann geht ganz schnell das Schlagwort von den „lebensuntüchtigen“
Züchtungen um.
Hilfloses Auftreiben kann mit falscher Ernährung
und/oder mit den oben erwähnten Schwimmblasendeformationen
zusammenhängen; oft auch mit beidem. Kranke Fische mit
Schwimmblasen- und Darmentzündung können ebenfalls dieses
Symptom aufweisen. Was auch immer der Grund sein mag: Sieht man
solche Tiere beim Händler, sollte man sie zurückweisen und nicht
kaufen.
Was diesen Punkt angeht, so gibt es für mich keine
Veranlassung, von Qualzüchtungen zu sprechen. Hier muß überhaupt
erst einmal vernünftig gezüchtet, transportiert und
zwischengehältert werden; und Goldfischbesitzer sollten
Grundkenntnisse der Aquaristik und einer artgerechten Fütterung
beherrschen!
Würden (vergleichbar den Maßnahmen gegen die
Hüftgelenksdysplasie bei Rassehunden) kritische Fische konsequent
aus der Zucht ausgeschlossen, gäbe es diese immer wieder
anzutreffenden kranken Fische nicht. Hier ist nicht das gewünschte
Zuchtmerkmal das Problem, sondern die unbeachtet bleibende kranke
Veranlagung von einigen der Merkmalsträger.
Veränderte
Kopfformen sind
in fast allen Fällen ohne schädliche Auswirkungen auf die
Fische.
„Mopskopf“:
Die allgemeine Vergrößerung des Schädels im Vergleich zur
Körperlänge in Verbindung mit einer relativen Verkürzung des
Gesichtsschädels und Verbreiterung des Hirnschädels wird als
„Vermopsung“ bezeichnet. Diese ist ein typisches
Domestikationsmerkmal bei Wirbeltieren, welches bei sehr vielen
Haustieren vorkommt (Dobkowitz,
1962, Herre,
1990),
und kaum jemand findet etwas schlimmes dabei. So „leidet“ z. B.
j e d e s Hausschwein (als
wichtigster Fleischlieferant auch vieler Goldfischkritiker) an diesem
Merkmal. Ansätze zur Vermopsung findet man bereits
beim
Wakin (Dobkowitz,
1962), alle Schleierschwanzformen und in verstärktem Maße
Varietäten mit Kopfaufwüchsen weisen einen deutlichen Mopskopf auf,
ohne daß die Fische dadurch beeinträchtigt wären.
„Mauskopf“:
Bei
Ryukins,
Perlschuppern und
einigen anderen Formen ist (insbesondere in chinesischen Zuchten) der
„Mauskopf“ sehr beliebt: eine generelle Verkleinerung und
Zuspitzung des Kopfes im Vergleich zum Körper. Grundsätzlich ist
dies kein Problem; allerdings kann es bei gleichzeitig übertriebener
Verdickung des Körpers in Kombination mit stark verschmälertem Kopf
kritisch werden: Ein mir bekannter Händler berichtete von einer
Lieferung Perlschupper, die ihre Kiemendeckel nicht richtig schließen
konnten, da sie an den verdickten Körper stießen. Folge waren
Atemnot und daraus resultierende Schwächung der Fische (zum
Mechanismus s. u.:
Quellkiemen).
Solch ein Fall ist eindeutig; es ist eine zu starke
Merkmalsausprägung mit daraus resultierendem Leiden der Tiere.
Solche Fische sollten weder gezüchtet noch gekauft werden. (Ich
mache darauf aufmerksam, daß hier eine Kombination zweier Merkmale
— Mauskopf und ballförmiger Körper — ein Problem
darstellt, nicht das einzelne Merkmal an sich.)
Wirbelsäulenverkrümmung wird
oft als Argument gegen viele Zuchtformen vorgetragen (z. B. Bartels,
o. J.).
Warum eigentlich?
Bedeutet eine im Vergleich zur Wildform andere
Krümmung tatsächlich eine „Verkrüppelung“? Dazu müßte man
erst einmal „Verkrüppelung“ definieren. Meist wird etwas als
eine solche aufgefaßt, was verkleinert und/oder durch
Verwachsungen/Versteifungen/Abhandensein bestimmter Strukturen nicht
mehr zum normalen Gebrauch befähigt ist. Die Wirbelsäule aller
Goldfischformen erfüllt aber ihren Zweck, sie ist weder unbrauchbar
noch eine Quelle ständigen oder gelegentlichen Leidens (was man vom
Skelettbau einiger üblicher Hunderassen wahrlich nicht behaupten
kann).
Fehlende
Rückenflossen und verlängerte
Flossen: Einige
der Hochzuchtformen bewegen sich aufgrund ihrer körperlichen
Besonderheiten unbeholfen. Schleierflossen sind nicht mehr für einen
ordentlichen Antrieb zu gebrauchen, fehlende Rückenflossen
beeinträchtigen die Stabilität beim Schwimmen. So die gängige
Argumentation, die auch ich früher vertreten habe. Aber hat jemand
derjenigen, die dieses Argument vorbringen, solche Fische schon
einmal schwimmen sehen? Gesunde Tiere, nicht den kranken Ausschuß im
Verkaufsbecken der meisten Händler? Wohl kaum.
Züchter und
erfahrene Halter dieser Fische erklären übereinstimmend, daß diese
Tiere sich nicht unbeholfen bewegen. Es ist sogar Zuchtziel fast
aller in Europa erhältlicher Formen, daß eine ausbalancierte und
unkomplizierte Schwimmweise möglich ist. Da gibt es nur ganz wenige
(hier kaum erhältliche) Spielarten, bei denen dies nicht möglich
ist.
So schreibt auch Hieronimus (2002): Flossenverlängerungen
an sich […] sind keine Schwimmbehinderung eines gesunden und unter
guten Bedingungen erzüchteten Fisches.
Folgende
zwei Videodateien dokumentieren die Bewegungsfreude und Agilität
zweier „Dickfische“, ein Oranda mit langen Flossen und großer
Kopfhaube und ein Kaliko-Ranchu ohne Rückenflosse:
robin.wmv (400 kB), lily.wmv (2,2 MB)
(Ich danke Sabine Atteln, Elliot Lake, für die freundliche Genehmigung zur Präsentation.)
Zwei weitere Videosequenzen zeigen die Schwimmfähigkeit laichender „Schleierschwänze“ (Ryukins) mit langem Flossenbehang und eines Kaliko-Eierfisches ohne Rückenflosse:
laichen.mpg (3,6 MB), eggfish.mpg (1,5 MB)
(Dank an Günther Ritter, Dortmund, Shubunkin.de. Der zuletzt gezeigte Fisch wurde in schlechtem Zustand aus einem „Restebehälter“ der Zoohandlung gekauft. In Teich und Aquarium entwickelte er sich gut; zum Zeitpunkt der Videoaufnahme war er so schnell im Aquarium unterwegs, daß eine Photographie nicht gelingen wollte.)
Eine
fehlende Dorsale mindert die individuelle Fitnes in freier Wildbahn;
für Aquarientiere ist sie vetretbar und sorgt keineswegs für
„umkippende“ Fische.
Für viele Beobachter ist allerdings
schon die „wackelnde“ Schwimmweise der dickbäuchigen und teils
mit verlängerten Flossen ausgestatteten Züchtungen eine
Beeinträchtigung. Das ist sicher graduell zu werten. Grundsätzlich
ist der (bei der Normalform durch die Schwanzflosse unterstützte)
Vortrieb bei den verdickten Schleierfischen geringer. Sie gleichen es
aus durch stärkere Bewegungen des Schwanzstieles und des gesamten
Körpers, bei sehr langsamem Schwimmen auch durch Ruderbewegungen der
Brust- und Bauchflossen. Das ist so. Aber ist es wirklich schlimm?
Unter Berücksichtigung der etwas beeinträchtigten Verdauungsorgane
ist etwas mehr Bewegung ja sogar gar nicht so verkehrt. Das klingt
jetzt zynisch, aber man sollte darüber einmal sachlich nachdenken.
Auch möchte ich noch einmal in Erinnerung rufen, daß die Tiere
nicht in freier Natur leben, wo sie sich ggf. pfeilschnell
fortbewegen müssen, sondern im umgrenzten Raum eines Aquariums, wo
eine pfeilschnelle Bewegung nicht nur unangebracht sondern sogar
gänzlich unmöglich ist (diese Problematik betrifft nicht nur
Goldfische sondern eine Vielzahl von Aquarienfischen).
Ein zu
kleines Aquarium behindert alle Goldfische (auch Schleierschwänze)
beim Schwimmen, aber lange Flossen werden einen Goldfisch nur in
Einzelfällen (diese gibt es) wirklich behindern; oft ist der
richtige Flossenbehang sogar notwendig, um bei veränderten
Körperproportionen die Balance zu wahren.
Mitunter wird
behauptet, daß die Flossen der Schleierfische sehr empfindlich seien
und leicht und oft reißen würden (z. B. Rössel et
al., 2003).
Bei solchen Ausführungen frage ich mich immer, ob die Autoren eigene
Erfahrung mit diesen Fischen haben, und falls ja, was das für kranke
Tiere gewesen sein müssen. Normalerweise gibt es mit den Flossen
keinerlei Probleme! Treten Flossenfäule oder Verletzungen auf, so
sind das unzulängliche Haltungsbedingungen oder falsche
Vergesellschaftung (nicht selten sieht man auch bei Händlern mit
Schleierschwänzen im selben Verkaufsbecken vergesellschaftete Welse,
Saugschmerlen usw.).
Das von einigen Fischarten bekannte
„Lyra-Gen“ ist bei Goldfischen nicht für die Flossenverlängerung
zuständig. Auch das krankhafte Merkmal eines lebenslangen
verstärkten Flossenwachstums kommt bei Goldfischen nur sehr selten
vor; solche Tiere sollten weder gehandelt noch zur Zucht verwendet
werden.
Sollten die Schwanzflossen doch einmal zu lang werden,
so daß die Tiere sich nicht mehr verpaaren können, so greifen
einige Züchter auch ‚mal zur Schere und kürzen die (anschließend
nachwachsenden) Flossen. Das ist bereits eine Vorgehensweise, die von
den meisten Züchtern abgelehnt wird und als „Kunstfehler“
betrachtet und berechtigterweise kritisiert werden kann (solche Tiere
sollten von der Zucht ausgeschlossen werden).
Die Zuchtform
des
Tosakin hat
eine lange, seitlich nach vorne gebogene Schwanzflosse. Mit ihr soll
laut Andrews (1987) und
anderer Autoren tatsächlich kaum noch eine richtige Schwimmbewegung
möglich sein, so daß diese Zuchtform künstlich vermehrt werden
müsse. Hier könnte also tatsächlich ein Merkmal vorliegen, welches
die Voraussetzungen des § 11b TierSchG erfüllt; jedoch wird
der Aussage Andrews
von mehreren Tosakin-Haltern widersprochen. Sie seien sehr wohl
schwimmfähig und auch zum Ablaichen in der Lage und würden aus
anderen, insbesondere wirtschaftlichen Gründen (wie viele andere
Fische auch) durch Abstreifen vermehrt.
Hervorstehende
Augen seien
anfällig für Verletzungen und ermöglichten nicht mehr ein normales
Sehen. Ist das so?
Die Augen der
„Drachenaugen“ (in
Europa „Teleskopaugen“ genannt) resultieren
nach Matsui (1971) aus
einer Degeneration der Netzhaut (Retina) infolge verstärkter
Hormonproduktion der Schilddrüse. Teichfischer (1994) hat
anscheinend die Angaben Matsuis
übernommen. Inwiefern es tatsächlich eine Degeneration und nicht
umgekehrt eine Verdickung der Retina ist, wie ich an anderer Stelle
gelesen habe (leider Quelle vergessen), ist mir augenblicklich
unklar. Diese Augen, vor allem die vorgewölbte Hornhaut (Cornea),
sind in rein mechanischer Hinsicht tatsächlich anfällig für
Verletzungen. Aus diesem Grund stehe ich ihnen grundsätzlich
skeptisch gegenüber. Jedoch läßt sich durch richtigen Umgang mit
dem Fisch und richtige Aquarieneinrichtung das Risiko minimieren bis
ausschließen. Richtige Haltung ist also Voraussetzung bei einigen
Formen! Viele Halter von Teleskopfischen berichten, daß ihre Fische
auch in einem ganz normal eingerichteten Goldfischaquarium keinerlei
Verletzungen erleiden; sogar im Teich werden einige Teleskopaugen
verletzungsfrei gehalten. Die Gefahr scheint also oft überbewertet
zu werden. Beim Gründeln sind die meisten Teleskopaugen nicht
beeinträchtigt, da alle Goldfische selten bis nie ihren Kopf bis zu
den Augen in den Boden stecken.
Ob das Sehvermögen bei
Teleskopaugen beeinträchtigt ist, läßt sich bisher nur schwierig
feststellen. Das mir berichtete Verhalten der meisten Teleskopfische
legt den Verdacht nahe, daß das Sehvermögen nicht oder nur gering
beeinträchtigt ist und allenfalls im Alter eine gewisse
Kurzsichtigkeit auftritt. Easter
& Hitchcock (1986) stellten
bei Linsenuntersuchungen an
Black
Moors dagegen
extreme Kurzsichtigkeit bis über 200 Dioptrien
fest. Roughley (1949) beschreibt
im direkten Vergleich sehr anschaulich das Verhalten Normaler
Goldfische und von Zuchtformen mit vergrößerten Augen bei der
Fütterung; letztere orten das Futter deutlich später/langsamer und
wohl hauptsächlich über den Geruchssinn. An auf dem Boden liegendes
Futter tasten sich die Teleskopaugen durch intensives Gründeln
langsam heran. Klare Anhaltspunkte für ein beeinträchtigtes
Sehvermögen sind also vorhanden; auch wenn einige Liebhaber dies mit
behäbigem Charakter ihrer Fische umschreiben oder
fehlinterpretieren. Es stellt sich die Frage, wie schwer solch ein
vermindertes Sehvermögen im Aquarium zu werten ist, da die Tiere
sich mit Hilfe ihres Seitenlinienorgans und ihres Geruchsinnes
orientieren können und bei richtiger Vergesellschaftung in ihrer
Lebensweise nur wenig benachteiligt sind. Rufen wir uns in
Erinnerung, daß einige Höhlenfische aufgrund ihrer dunklen Umgebung
auch die Augen rückgebildet haben und natürlicherweise nicht mehr
über ein funktionsfähiges Sehvermögen verfügen. Es ist für ihr
Leben in Dunkelheit nicht erforderlich, und so können auch
Goldfische mit verunstalteten Augen unter geeigneten
Aquariumbedingungen gut leben. (Jegliche Argumentation gegen diesen
Höhlenfische-Vergleich hinsichtlich natürlicher Anpassung und
züchterischer Auswahl läßt erkennen, daß wichtige Mechanismen der
Evolutionsökologie nicht gelernt oder verstanden wurden …)
Es
bleibt die unbeantwortete Frage, ob nicht möglicherweise (z. B.
aufgrund des von Raymond et
al., 1984 festgestellten
erhöhten Augeninnendruckes) das Merkmal der Teleskopaugen
grundsätzlich für den Fisch eine dauerhafte Schmerzquelle ist.
Niemand weiß es. Es gibt lediglich den ernstzunehmenden Hinweis, daß
ein aufgrund von Schmerzen unter Dauerstreß stehender Fisch nicht
besonders alt werden würde.
Eine Steigerung der Augendeformationen sind die aufwärtsgerichteten Augen der Himmelsgucker und die Blasenaugen. Bei den Himmelsguckern handelt es sich um eine Verschärfung der Verhältnisse der Teleskopaugen. Hier soll es sich nicht um eine veränderte Retina handeln; die Augenform der Celestials wird auf verdicktes Bindegewebe zurückgeführt (Autor, 19xx). Ihr Sehfeld ist durch die nach oben gerichteten Augen zweifelsfrei geändert und eingeschränkt. Inwiefern durch die nun permanent dem Licht ausgesetzten Augen die Fische gestreßt werden oder gar leiden, ist bislang ungeklärt. Blasenaugen überschreiten m. E. deutlich eine Grenze: Abgesehen von den meist ebenfalls nach oben gerichteten Augen ist diesen Tieren kaum noch das artgemäße und im Verhaltensrepertoire fest verankerte Gründeln im Boden möglich. Jede Bewegung am Boden ist geeignet, Verletzungen hervorzurufen, weshalb diese Zuchtform oft (durchaus nicht immer) auf blankem Glasboden ohne Bodenmaterial gehalten wird. Das Verwehren eines bei allen Goldfischen vorhandenen Verhaltensmusters erachte ich als nicht artgerecht. Hier gibt es ein Video mit einem Blasenauge:
(Dank an Sabine Atteln, Elliot Lake)
Befürworter dieser Zuchtform sehen in solchen Bildern einen Beleg für die Agilität und Vitalität eines Blasenauges; ich sehe hier einen Fisch, der etwas versucht, was ihm aufgrund seiner Merkmale verwehrt ist: gründeln. Weiterhin sollte man sich verdeutlichen, daß Blasenaugen mit dermaßen großen Blasen eine im Vergleich zum Körper enorm große Menge an Lymphe besitzen (teilweise mehr als das doppelte als ohne diese Blasen). Berichte von Haltern dieser Tiere deuten daraufhin, daß damit die Organe des Fisches überfordert sein können, weswegen erfahrungsgemäß Tiere mit großen Blasen deutlich schneller erkranken als sog. „Krötenaugen“ mit nur kleinen Blasen. Diesbezüglich muß ich weitere Recherchen durchführen und die genauen organischen Hintergründe in Erfahrung bringen; das Problem ist allerdings vorhanden.
Auch
wenn ich bei einem echten asiatischen Aufsichtbecken ohne
Teleskopfische fast schon das Gefühl habe, daß etwas fehle, stehe
ich Augendeformationen doch einigermaßen ablehnend gegenüber. Das
große Übel, als das sie oft dargestellt werden, scheinen sie aber
grundsätzlich nicht zu sein. Der Himmelsgucker ist sogar eine sehr
robuste Zuchtform (vgl.
Himmelsgucker).
Aufgrund des nun doch gravierenden Merkmals der Augenumgestaltung mit
deutlich geändertem Gesichtsfeld tue ich mich schwer, Himmelsgucker
einzuschätzen; ich tendiere eher dazu, sie abzulehnen.
Blasenaugen
sind dagegen aus den angeführten Gründen meiner Meinung nach
eindeutig nicht mit dem Tierschutz vereinbar.
Kopfaufwüchse (engl. „Wen“, nach dem englischen medizinischen Fachbegriff für „Balggeschwulst“, „Grützbeutel“) beruhen laut verschiedener Autoren und Argumentatoren angeblich auf (gutartigen) Hauttumoren. Tatsächlich handelt es sich allerdings um Fettgewebe (wie jeder feststellen kann, der des Umgangs mit einem Mikroskop kundig ist), welches bei Hungerzeiten auch rückbildbar ist. Der Begriff „Tumor“ ist hier also unzutreffend und irreführend.
Löwenköpfe, Büffelköpfe, Orandas u. a. verdanken ihre Aufwüchse also einer Wucherung, was für einige Leute generell ein Grund ist, diese Zuchten abzulehnen (Krebs!). Ob dieser Grund alleine ausreicht, muß jeder für sich entscheiden. Eine prinzipielle Beeinträchtigung der Fische aufgrund dieses Umstandes ist für mich nicht zu erkennen. Anders sieht es aus, wenn die Geschwulste überhandnehmen: Wenn Augen, Nasenlöcher und Mund zuwachsen, oder eine unkontrollierte Wucherung einen zu großen hydrodynamischen Widerstand beim Schwimmen darstellt, ist dies eine abzulehnende Behinderung des Fisches. Andererseits sehen die Standards aber eindeutig vor, daß Augen, Nasenlöcher und Mund n i c h t von den Wucherungen bedeckt sein sollen.
Eine statische „Last“ sind diese Wucherungen entgegen des subjektiven Eindruckes nicht. Das Fettgewebe hat eine geringfügig geringere Dichte als Wasser (und würde den Fisch eher noch nach oben ziehen als den Kopf hinunterzudrücken). Fische, bei denen dieser Eindruck entsteht, haben aller Wahrscheinlichkeit nach Probleme mit ihrer Schwimmblase, nicht mit dem Kopfaufwuchs.
Zur Illustration noch einmal das oben bereits angebotene Video von S. Atteln (Elliot Lake), welches zeigt, daß auch ein Fisch mit nach meinem Empfinden (zu) großer Kappe sehr agil unterwegs sein kann: robin.wmv (400 kB).
Rössel et al. (2003) behaupten, daß sich in den Nischen und Höhlungen, die oft mit Schleim gefüllt sind, gerne Ektoparasiten ansiedeln würden. Die Schleimhaut der Fische sondert in der Tat Schleim ab, deswegen heißt sie ja so; und der Schleim hat u. a. die Aufgabe, das Eindringen von Krankheitserregern zu erschweren. Warum sollen die Falten „oft“ damit gefüllt sein, und warum wäre das ein Problem? Ektoparasiten am Wen konnte mir bisher kein Halter dieser Tiere bestätigen.
Es soll Kopfgeschwulste geben, die sich auch unter der Haut großvolumig fortsetzen und das Schädeldach eindrücken (Autor, 19xx). Ob dies so ist, und inwiefern so etwas Auswirkungen auf das Gehirn der Fische hat, ist mir unbekannt. Photographien bei Herre (1990) belegen, daß diese Hauben mit bestimmten Leisten am Schädeldach kombiniert sind.
Eine Beurteilung dieser Aufwüchse (Kappen, Mützen, Hauben, Wen und wie sie alle heißen) fällt mir schwer. Beim augenblicklichen Kenntnisstand erscheint mir der ästhetische Aspekt — vielen Leuten gefällt so etwas prinzipiell nicht — schwerwiegender als die mögliche Beeinträchtigung des Fisches. Ob ein Aufwuchs noch akzeptabel ist, kann man meist mit etwas gesundem Menschenverstand selbst beurteilen. Wenn die Augen zugewuchert sind, sieht es weder gut aus, noch behagt es dem Fisch. Ähnlich verhält es sich bei großvolumigen herausragenden Blasen im Kopfaufwuchs.
Der amerikanische Fischtierarzt Dr. Erik L. Johnson (Johnson & Hess, 2001) bietet für allzu stark und die Augen zuwuchernde Wens eine chirurgische Korrektur an, was in Nordamerika auch praktiziert wird. Die Auswirkungen dieser Prozedur auf den Fisch werden dabei als nicht problematisch angesehen. Ich bezweifel dies stark und kann diese Praxis nicht empfehlen; im Gegensatz zum Haareschneiden oder Huferaspeln wird hier lebendes, durchblutetes (wenn auch nicht innerviertes) Gewebe beschnitten. Ich sehe sowohl diese extremen Aufwuchswucherungen als auch ihr „Trimming“ sehr kritisch und halte beides aus tierschützerischer Sicht für bedenklich.
Besonders knifflig wird für mich die Beurteilung durch den Umstand, daß diese Haube eine Art „Reservefunktion“ erfüllt: Je besser sich der Fisch fühlt, und je mehr Futter er zur Verfügung hat, desto mehr Fettgewebe kann er in seinem „Turban“ für schlechte Zeiten deponieren. Einem sehr bedauernswert erscheinenden Fisch kann es also theoretisch besonders gut gehen. Umgekehrt könnte es ein Hinweis auf übermäßige und/oder unpassende Ernährung sein. Erfahrungen von Leuten, die solche Tiere aufzogen, lassen vermuten, daß falsche Ernährung in der Jugendzeit ein schnelles Wen-Wachstum zuungunsten der restlichen Entwicklung des Fisches (einschl. einer erhöhten Krankheitsanfälligkeit) bewirken könnte.
Wie oben dargestellt, meint das rheinland-pfälzische Ministerium für Umwelt und Forsten, große Kopfwucherungen von Goldfischen als tierschutzrelevant im Sinne des § 11b TierSchG und damit als „Qualzucht“ einzustufen zu können. In Schweden sind Orandas mit einem Verkaufsverbot belegt (Oudewater, 1999). Mir persönlich gefallen diese Hauben nur in Ausnahmefällen und in Maßen; ein zu starker Aufwuchs ist eher abzulehnen, ein moderater Wen dagegen ist m. E. unkritisch. Verkaufsverbote für Orandas und ähnliche Varietäten halte ich für völlig überzogen.
Nasenpompons, Nasenbouquets (auch die Schreibweise Nasenbuketts gibt es), Wollmützen und wie man sie noch bezeichnet, sind fleischige Auswüchse der Nasenhöcker (Nasenscheidewände; bei Fischen nicht dasselbe wie unsere menschlichen Nasenscheidewände). Sie stellen in meinen Augen eine deutliche Beeinträchtigung zuungunsten des Fisches dar. Die Verletzungsgefahr (an Pflanzenstengeln, Fadenalgen, …) ist gegeben; auch alle diesen Zuchtformen gegenüber wohlgesonnene Autoren (Matsui, 1971, Andrews, 1987/’91, Teichfischer, 1994, Bernhardt, 2001 u. a.) betonen übereinstimmend die große Empfindlichkeit / Verletzbarkeit dieser Puschel. Das Schwimmen wird mit großvolumigen Pompons (die jeweils an einer einzigen kleinen und empfindlichen Stelle des Körpers ansetzen) mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit erschwert, das Gründeln und das Gesichtsfeld sind eindeutig eingeschränkt. Darüberhinaus soll es übertrieben große Tentakel geben, die bis über das Maul hinauswachsen und die Atmung des Fisches behindern (Grzimek et al., 1970, Andrews, 1987).
Pompons sehe ich ebenfalls sehr kritisch und kann ihre Zucht nicht gutheißen.
Quellkiemen (umgewendete Kiemendeckel) sind ein Merkmal, bei denen das Operculum (der Kiemendeckel) nach außen und vorne gebogen ist; bisweilen ist es gleichzeitig verkürzt. Dadurch liegen die Kiemen frei und hängen meist auch nach außen, was als dekorativ angesehen wird. In meinen Augen wird damit aber eine sehr kritische Mutation gefördert: Die Kiemenfilamente sind sehr empfindlich; daß sie nun nicht mehr ausreichend durch das Operculum geschützt sind, ist eine deutliche Beeinträchtigung. Weiterhin dienen der Kiemendeckel und das sich darunter befindende Ligament als nur in eine Richtung durchgängige „Klappen“ bei der Aktiven Ventilation (vgl. Biologie III: Fischatmung). Wenn diese (energiesparende) Aktive Ventilation mittels Pumpen von Wasser durch die Mundhöhle an den Kiemen vorbei nicht mehr funktioniert, ist der Fisch auf die Passive Ventilation angewiesen, welche passiv genannt wird, weil das Wasser nicht aktiv hindurchgepumpt wird. Stattdessen strömt es passiv durch Mundhöhle und an den Kiemen vorbei, weil der Fisch aktiv herumschwimmt — ein Energieverbauch, der zwecks Atmung nicht erforderlich ist. Das Merkmal der Quellkiemen ist also theoretisch durchaus geeignet, die Tiere an Sauerstoffnot oder erhöhtem Energieverbrauch leiden zu lassen. (Solche Eigenheiten könnten mit ein Hintergrund sein, weswegen Goldfischzuchtformen von vielen Liebhabern als sehr sauerstoffbedürftig angesehen werden, was der Goldfisch natürlicherweise gar nicht ist.)
Mangels eigener Erfahrung mit den Fischen kann ich das alles nicht sicher beurteilen, lehne dieses Merkmal aus den beschriebenen Überlegungen her und aufgrund des mir bekannten und oben beschriebenen Falles der nicht dicht schließenden Kiemendeckel (s. Anmerkungen zur Kopfform) aber entschieden ab. Fische mit umgewendeten Kiemendeckeln sollte man nicht kaufen.
Diese Spielart ist als gezielte Züchtung in Europa kaum zu finden. Dagegen kommt es nicht selten vor, daß dieses Merkmal als spontane Mutation auch bei der Nachzucht Normaler Goldfische oder von Shubunkins auftritt.
Weiterhin
möchte ich noch einige Worte zur Zucht dieser Tiere verlieren:
Diese
Formen können teilweise nur durch Inzucht und Linienzucht erhalten
werden (die meisten dieser Merkmale werden rezessiv vererbt, so daß
nur bei entsprechender Zucht ein ausreichend hoher Anteil der
betreffenden Merkmale auftritt). Im Vergleich zu anderen Wirbeltieren
sind Fische aber relativ resistent gegenüber Inzuchtdepressionen,
und gute Züchter werden schon aus eigenem Interesse in die
Zuchtstämme hin und wieder „frisches Blut“ einkreuzen.
Viele Goldfische sind polyploid. Dies bedeutet, daß Chromosomensätze nicht nur, wie gewöhnlich, zweifach vorliegen (2n, diploid), sondern häufig auch dreifach (3n, triploid) oder sogar vierfach (4n, tetraploid). Diese Polyploidie macht die Zucht so kompliziert, sorgt andererseits aber auch für eine gewisse Unempfindlichkeit gegenüber Inzuchtschäden. Ab und zu wird die Polyploidie als Argument für die „Unnatürlichkeit“ der Zuchtformen angeführt. Dies ist ein weder der Diskusion dienliches noch zutreffendes Argument, weil auch wilde Silberkarauschen polyploide Populationen aufweisen (Ueda & Ojima, 1978) . Der sich in Europa immer weiter nach Westen verbreitende Giebel (s. Biologie I: Einordnung des Goldfisches in die Systematik) kann sich nur deswegen gynogenetisch fortpflanzen, weil die Tiere polyploid sind.
Das
Argument, daß es bei der Hochzucht viel zu vernichtenden Ausschuß
unter den Nachkommen gebe, zieht m. E. nicht: Grundsätzlich muß
jeder Züchter — also auch derjenige, der „Wildformen“
erhalten will — im Interesse eines guten und gesunden
Zuchtstammes streng selektieren; nur die stärksten und schönsten
Tiere bleiben erhalten, sonst degeneriert die Zuchtlinie. In freier
Natur werden von vielen hundert Eiern, die ein einziges Weibchen
ablaicht, nur wenige einzelne Tiere zur Geschlechtsreife gelangen.
Die natürliche Auslese entfällt bei der Zucht weitgehend und muß
durch züchterische Selektion ersetzt werden. Dabei kommen immer noch
viel mehr Tiere durch, als unter den harten Bedingungen, die Mutter
Natur im Freiland bietet.
Ich bin sogar der Meinung, daß im
Interesse guter Zuchtstämme und gesunder in den Handel gelangender
Tiere eine deutlich rigorosere Selektion stattfinden sollte! Nur so
kann gewährleistet werden, daß schlechte Merkmale nicht
weitervererbt werden und der Kunde „gute“ Tiere erhält, auf die
der Begriff Qualzüchtung eben
nicht zutrifft. Dies macht die einzelnen Tiere aber deutlich teurer,
und da der Kunde für seinen Fischerwerb nur wenig Geld ausgeben
möchte, ist er mitschuld an den vielen „lebensuntüchtigen“
Tieren im Handel.
Daß die meisten Hochzuchtformen zu ihrem Wohlbefinden höherer Temperaturen bedürfen und generell empfindlicher sind als Einfache Goldfische, ist ein Umstand, auf den schon Dünnebier (1927) kritisch und kontrovers einging. Ich muß noch einige Informationen einholen und Bücher lesen, um hier zuverlässige Aussagen machen zu können. Dünnebier zufolge ist durch „Dampfzucht“ und falsche Zuchtwahl durch profitorientierte Züchter einiges falsch gelaufen. Selbst wenn dies nicht die einzigen Gründe sein sollten: Dies ist eine Entwicklung, woran Kunden einen großen Anteil haben, die nicht bereit sind, für einen guten Fisch auch einen guten Preis zu bezahlen — damals wie heute. Solange bei „billigen Goldfischen“ nur auf den Preis geachtet wird, solange „Geiz ist geil“ das Motto schnellen Konsums ist, solange laufen wir Gefahr, den unguten Trend fortzusetzen, daß zunehmend auch die Normalen Goldfische tatsächlich n i c h t mehr die unverwüstlichen robusten Fische sind, als die sie bekannt sind. Um wieviel schlimmer ist dies bei den Hochzuchtformen … Alleine daran sieht man, daß gute und gerichtete Zucht dringend notwendig ist (vgl. auch Pederzani & Stallknecht, 1965).
Es bleibt lediglich die Frage, wie weit diese Zucht gehen darf, welche Merkmale sie fördern darf und welche nicht. In diesem Zusammenhang wird ein Standard wichtig, der festlegt und detailliert vorgibt, welche Merkmale die Zuchtformen haben sollen, und wie die Merkmale beschaffen sein sollen. Ein guter Standard soll also auch züchterische Auswüchse verhindern und kann den Käufern eine Orientierung geben (vgl. auch Pederzani, 1997). Leider gibt es in Deutschland keinen aktuellen und angewendeten Standard; die meisten Käufer sind entsprechend der Merkmale eines „guten“ Fisches absolut unkundig. Auch deswegen können sich „schlechte“ Fische durchsetzen.
Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß robuste und vorsichtig abgehärtete Tiere einiger Zuchtformen fast mit Normalen Teichgoldfischen vergleichbar sein können. Ein mir bekannter Goldfischfreund zieht Ryukins und Fantails im Teich auf und überwintert Fantails auch dort. Weiterhin ist mir von unter dem Eis überwinternden Black Moors bekannt. In Nordamerika überwintern Himmelsgucker im Freien. Hier ist also gute Zucht, die auch auf die Empfindlichkeit der Fische achtet und dieser entgegensteuert, dringend geboten und auch tatsächlich möglich.
Es soll hier zum wiederholten Male daraufhingewiesen werden, daß ein guter Hochzuchtfisch auch Geld kostet! Für ein paar Öre oder gar gratis kann man robuste Normale Goldfische aus Nachbars Teich bekommen; aber Zuchtformen bedürfen einigen Aufwandes bei Pflege, Zucht und Aufzucht (und auch bei Transport und Zwischenhälterung im Handel). Dieser Aufwand muß entlohnt werden, für ein bißchen Geld sind einfach keine guten Tiere möglich. Für Rassehunde oder Kois werden beim Züchter hohe Summen gezahlt; aber einen Oranda oder Perlschupper möchte man für 10 bis 20 Euro erstehen — warum fällt niemandem der Bezug zu der miesen Qualität und dem schlechten Zustand der Tiere auf, die dann leichtfertig als „Qualzucht“ bezeichnet werden?
Fazit
Ich sehe mich nicht in der Lage, ein allgemeines klares Ja oder Nein zu Hochzuchtformen zu geben. Wer aufmerksam gelesen und mitgedacht hat, wird festgestellt haben, daß diese Thematik keine indifferenzierte Aussage zuläßt. Die tierschützerische Relevanz der einzelnen Merkmale wiegt unterschiedlich schwer. Einige lehne ich deutlich ab, andere sehe ich mit gemischten Gefühlen, noch andere sind für den Fisch mehr oder weniger problemlos. Das Ausmaß der Merkmalsausprägung spielt eine weitere Rolle: Vieles, was in gemäßigter Größe noch akzeptabel ist, ist ab bestimmten Dimensionen unannehmbar. Letztlich muß jeder für sich selbst Grenzen ziehen, welche Formen noch akzeptabel sind. Ein etablierter und praktizierter Standard könnte zu starke und falsche Merkmalsausprägungen eindämmen helfen.
Verdickte
Körper, verbreiterte Köpfe, Wirbelsäulenveränderungen und
Flossengestaltungen sind prinzipiell kein Grund zur Beanstandung;
allenfalls übertriebene Ausprägungen sind
abzulehnen.
Augenveränderungen und Kopfwucherungen kann ich
nicht abschließend bewerten; bei letzteren gibt es häufiger
kritische Ausprägungen.
Blasenaugen, Nasenpompons und
Quellkiemen stufe ich als stark beeinträchtigend bis quälerisch ein
und lehne sie ab.
Die betreffenden Fische, geboren mit diesen Merkmalen, werden ihren Zustand selbst nicht als bedauernswert empfinden. Einige Formen werden sogar in ihrem Wohlbefinden nicht beeinträchtigt sein. In der Natur entstehen als Anpassung an bestimmte ökologische Nischen die aus unserer Sicht abstrusesten Formen und Merkmale; für viele Goldfischvarietäten ist eben der Geschmack einiger Aquarianer ihre entsprechende ökologische Nische, in der Formen, die unter den Bedingungen der freien Natur keinen Bestand hätten, überleben können. Ein harmloses Beispiel habe ich bereits bei der Erklärung der Augendeformationen mit den Höhlenfischen gegeben. Denken Sie z. B. auch an Paradiesvögel, an die merkwürdigen Fetzenfische oder, wie Pederzani (2004a) vorschlägt, an die eigentümlichen Anglerfische. Hier unterlagen Tiere, die vom üblichen Bild abwichen, einer natürlichen Bevorzugung, so daß als evolutionäre Anpassung an die Lebensweise besondere Formen entstanden sind. Bei der Goldfischzucht waren keine natürlichen Bedingungen sondern die Selektion der Züchter der Grund für die Erhaltung und Weiterentwicklung von Merkmalen, die von der „normalen Fischform“ abweichen. Die Merkmale selbst stammen aus dem Erbgut der Fische; die Züchter sorgen nur für einen Erhalt dieser Merkmale. Solange diese Merkmale dem angeborenen und im Ergbut verankerten Verhalten nicht entgegenstehen oder anderweitig Leiden verursachen, sind sie alleine geschmacklich relevant.
Die Tatsache, daß ein gezüchtetes Tier in freier Natur nicht (über-)lebensfähig ist, darf kein Kriterium für „erlaubt“ oder „nicht erlaubt“ sein! Das sind wir Menschen aus Industriegesellschaften ebensowenig wie unsere Meerschweinchen oder viele andere unserer Heim- und Nutztiere. Alleine deswegen leidet kein Lebewesen; dieses Argument ist mir einigermaßen unverständlich.
Dennoch
sehe ich persönlich einige dieser Formen und den sie bedingenden
Geschmack kritisch. Muß es wirklich sein, daß wir nur zu unserem
optischen Gefallen, aus Geltungssucht oder Sammelleidenschaft solche
Tiere gezielt züchten? Geht bei einigen „süßen
Wasserschweinchen“ und Sammelobjekten nicht der Blick für den
Fisch und die diesem Lebewesen gegenüber gebotene verstehende
Sichtweise verloren? Wie auch immer: Sobald die Zuchtziele bedeuten,
daß das Tier anfälliger für bestimmte Krankheiten oder
Verletzungen ist oder in seinem (schwer zu beurteilenden!)
Wohlbefinden beeinträchtigt ist, lehne ich diese Züchtungen
ab.
Gesunde, sich weitgehend „normal“ verhaltende und alt
werdende Hochzuchtformen in den Aquarien erfahrener Liebhaber
sprechen eigentlich dagegen, daß die Mehrzahl dieser Tiere in dem
Maße leidet, wie dies von goldfischunkundigen Eiferern oft behauptet
wird.
Wichtig
ist, daß man weiß, was man sich da anschafft und in seiner Obhut
pflegt, und welche Bedürfnisse diese Fische haben! Denn letztlich
ist es aus Sicht des Tierschutzes reichlich irrelevant, ob nun
Schleierfische und Teleskopaugen an falscher Fütterung und
Verstopfung bzw. durch verpilzte Augenverletzungen eingehen,
oder ob Diskusbuntbarsche und Neonsalmler in einem für sie viel
zu harten Wasser medikamentenvollgepumpt an Nierenproblemen
krepieren oder von Schwächeparasiten dahingerafft werden.
J e d e r Fisch benötigt die auf
seine Besonderheiten eingehenden Haltungsbedingungen!
Dies
ist nicht nur für diejenigen „Tierfreunde“ wichtig, die sich für
wenig Geld einen kaum lebenstüchtigen aber so „süßen“ Fisch
kaufen, der lediglich den Wunsch nach dem Kindchenschema befriedigt,
sondern auch für diejenigen „ernsthaften Aquarianer“, die
außergewöhnliche oder in züchterischer Hinsicht anspruchsvolle und
bisweilen auch teure Fische als Herausforderung oder Statussymbol
begreifen. Bei beiden Gruppen wird nicht selten das Tier unter großem
Aufwand an Fürsorge, Medikamenten, Unverständnis und Unkenntnis zu
Tode gepflegt. Sind in diesem Zusammenhang eigentlich
„qualgezüchtete“ Fische oder Wildfänge bedrohter Arten oder aus
bedrohten Lebensräumen kritischer zu beurteilen?
Ich halte ganz andere Dinge für sehr bedenklich, welche bei den üblichen Diskussionen (für die sie manchmal sogar der eigentliche Anlaß sind) oft unter den Tisch fallen:
Es ist so, daß viele Fische, die von Gegnern der Zuchtformen kritisiert werden (weil scheinbar die Zuchtform an sich nicht lebenstüchtig ist), im Handel nur als mehr oder weniger kranke Tiere zu erhalten sind. Dies hat neben den bereits erwähnten miserablen Transport- und Hälterungsbedingungen auch seine Ursache darin, daß bei der Zucht der Tiere auschließlich auf das Äußere geachtet wird, nicht aber auf Gesundheit. Gerade wenn diese empfindlicheren Varietäten gezüchtet werden, muß unbedingt Wert darauf gelegt werden, daß der Zuchtstamm nicht krankheitsanfällig ist! Bartels (o. J.) hat völlig recht, wenn er schreibt, daß Langlebigkeit, Vitalität und normalem Verhalten sowie Krankheitsresistenzen mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Genau wie bei Rassehunden muß nicht nur endlich (wieder) ein (deutscher) Standard aufgestellt werden, der Art und Ausmaß der Merkmalsausprägung auch im Interesse der Tiere regelt, sondern es sollte darüberhinaus eindeutig vereinbart und sichergestellt werden, daß Merkmalsträger mit unerwünschten Eigenschaften von der Zucht ausgeschlossen werden. Hier habe ich insbesondere das Auftriebssyndrom im Auge, welches bei vielen „Schleierschwanz“-Zuchtformen immer wieder Probleme bereitet.
Die Beurteilung von Goldfischhochzuchten ist und bleibt eine schwer zu regelnde Angelegenheit, sie beinhaltet viele offene Fragen und noch mehr persönliches Empfinden. Außerdem spielen tatsächlich unklare Tatsachen (Schmerzempfinden, Leid?) sowie kulturelle und ästhetische Aspekte eine große Rolle. Einfaches Schwarzweiß-Denken ist ein Zeichen mangelnder Kenntnisse und ideologischer Voreingenommenheit. Genau diese verhindern aber die Akzeptanz dieser Züchtungen, deren Freunde bei weniger Antipropaganda mit Zuchtschauen und Ausstellungen auf züchterische Fehlentwicklungen Einfluß nehmen könnten. Wie massiv solche Ausstellungen mit Vorbehalten, Anfeindungen und Unwissenheit zu kämpfen haben, berichtet anschaulich Steinle (1996b).
In jüngster Zeit haben der Bundesverband für fachgerechten Natur- und Artenschutz ( BNA) und die Deutsche Cichliden-Gesellschaft ( DCG) und unterstützend der Verband Deutscher Vereine für Aquarien- und Terrarienkunde ( VDA) erneut einen Vorstoß unternommen, die als „Papageienbuntbarsche“ gehandelten Cichliden-Hybriden offiziell als Qualzüchtungen im Sinne des § 11b TierSchG einstufen zu lassen. Der entsprechende Antrag (nachzulesen unter Antrag des BNA, pdf 1,6 MB und Antrag der DCG, pdf 92 kB) wurde ausführlich vorbereitet und begründet. Umso seltsamer erscheint es mir alleine von der Vorgehensweise, daß in demselben Antrag, gewissermaßen in angehängten kurzen Absätzen (Weitere Beispiele …), auch Goldfischzuchtformen erwähnt werden und deren Verbot gefordert wird. Die entsprechenden Ausführungen dazu sind pauschal und teilweise fehlerhaft (so z. B. die immer wiederkehrende Behauptung, daß die fehlende Dorsale beim Schwimmen behindere). Wirklich kritische Merkmale wie Blasenaugen, Quellkiemen, evtl. Pompons lassen sich genauso ausführlich begründbar kritisieren; es tut der gesamten Sache nicht gut, Goldfischzuchtformen dermaßen unqualifiziert abzuhandeln und anzuprangern. In diesem Zusammenhang weise ich auch noch einmal gezielt auf meine Rezensionen der einschlägigen Publikationen gegen die Zuchtformen hin:
Bartels, o. J.,
Hieronimus (2002),
Rössel et al. (2003),
Kästner (2004).
Um sich selbst ein Bild zu machen, sollte man auch Werke anerkannter Fachleute in der Aquaristik gründlich und kritisch hinterfragen.
Warum wird nicht mit gleicher Vehemenz gegen unhaltbare Zustände in Import und Handel vorgegangen? Hier liegen immerhin auch einige der Gründe dafür, daß viele Goldfischzuchtformen (und auch viele andere Aquarienfische …) in kaum lebenstüchtigem Zustand in den Aquarien der Halter ankommen.
Wie oben erwähnt, habe ich mich früher entschieden gegen die Hochzuchtformen ausgesprochen und dafür viel Lob erhalten. Aber ich mußte die wenige Kritik daran ernst nehmen, mich kundig machen und meine Meinung differenzieren und teilweise ändern.
Ich bleibe weiterhin dabei, daß einige Merkmale abzulehnen sind (und ich hoffe, dies sachlich und nachvollziehbar begründet zu haben). Andere oft kritisierte Züchtungen sind dagegen kaum bis gar nicht zu beanstanden. Und dann gibt es noch die Fälle, in denen ich keine Antworten geben kann und will. Stattdessen äußere ich den Wunsch sowohl nach kritischer Hinterfragung der Zuchtformen als auch nach vorurteilsloser und toleranter Akzeptanz anderer Vorlieben. Man muß diese Tiere nicht schön finden, sollte dies aber anderen gestatten. Ihnen die Existenzberechtigung abzusprechen und rein emotional Leiden vorausszusetzen und zu behaupten, ist engstirnig und dumm. Die Behauptung nachweislich nicht vorhandener Probleme ist nachlässig bis unwürdig. Ist es nicht eine typisch deutsche Eigenschaft, alles fremdartige abzulehnen und dogmatisch die „reine Lehre“ zu vertreten? Mehr noch: Ist es Zufall, daß ausgerechnet in Deutschland der Ruf nach „natürlich starken“, nicht kulturell überformten Lebewesen besonders laut ist, und die Pflege von Goldfischzuchtformen in Deutschland in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts einen bis heute andauernden Zusammenbruch erlitten hat?